Konfetti frei! – Vom Partyknaller zur Schusswaffe und zurück.

Nach über zwei Jahren und drei Prozess-Anläufen fand nun der „Konfetti-Prozess“ in Heilbronn statt.

Am 03. Juli 2018 störten „Heilbronner Antifaschist*innen“ den AfD-Stammtisch im Restaurant Wartberg. Sie hängten Schilder auf, verteilten Flyer an die anwesenden Gäste und ließen mit Konfetti-Kanonen Schnipsel durch das offene Fenster des Veranstaltungsraums regnen (1). Zwei Antifaschist*innen standen nun wegen des Partyknallers vor Gericht.

„Anschlag mit einer Schusswaffe“
Nachdem es drei mal geknallt hatte und der Saal voll mit Konfetti war (2) rief der Sprecher des AfD-Kreisverband Heilbronn und Landtagsabgeordnete Dr. Rainer Podeswa die Polizei – nicht unter 110, sondern direkt die Heilbronner Einsatzstelle. Er meldete einen Anschlag mit Schusswaffen und löste damit einen Polizei-Großeinsatz mit 8 Streifenwagen und jeweils 2 Fahrzeugen der Hundeführer und des Kriminaldauerdienstes sowie einem Helikopter aus, die nach den etwa 15-20 Antifaschist*innen fahndeten (3).
Ein paar Besucher der AfD-Veranstaltung stürmten aus dem Saal und versuchten die Konfetti-Kanoniere zu filmen, wobei es zu einer Rangelei kam. Dabei sollen vier „Stammtischkämpfer“ der AfD-Veranstaltung versucht haben, eine Antifaschistin festzuhalten. Der Angeklagte soll ihr zu Hilfe gekommen sein und einen Zeugen am Hals gepackt haben, bevor er einen mit dem Handy filmenden AfD-Veranstaltungsteilnehmer bedrängt und geschlagen habe – so zumindest die Anklage. Ein weiterer Beteiligter stolperte über seine eigenen Füße und verletzte sich dabei. Der filmende AfD-Veranstaltungsteilnehmer sagte später, er sei mit einer Holzlatte attackiert worden. Andere VeranstaltungsteilnehmerInnen klagten über ein Knalltrauma (4) und ,,Podeswa sprach von einer ‚völlig neuen Qualität‘ der Angriffe, bei der Leib und Leben gefährdet würden (5)“, wobei er sich „auf die Konfetti-Kanone und auf den von ihm beschriebenen Angriff mit der Holzlatte (6)“ bezog.

Aufwendige Ermittlungen

Mit besagtem Aufgebot fahndete die Polizei des Abends am Wartberg. Sie war vor Ort neben Lageübersicht und Spurensicherung auch mit AfDlern, die sich anfangs weigerten ihre Personalien anzugeben, Polizeiabsperrungen überschritten oder auf dem Einsatz einer Schrotflinte seitens der Antifaschist*innen beharrten, beschäftigt. Neben gefundenen Beweisstücken wie Transparenten und einer Tasche, wurden im Laufe der Ermittlungen die Bilder des in die Rangelei verwickelten und geschädigten AfD-Veranstaltungs-Besuchers ausgewertet, Zeug*innen vernommen und verschiedene Gutachten angefordert, u.a. ein Konfettikanonen-Gutachten beim Landeskriminalamt. Dieses wurde mit einer nicht baugleichen Konfettikanone durchgeführt, da eine Konfettikanone des selben Typs wie sie die Antifaschist*innen verwendet hatten, nicht aufzutreiben war. Das Gutachten kam zu dem Schluss, dass eine Konfettikanone ein Partygerät mit einer Zulassung für drinnen und draußen sei, freigegeben ab 12 Jahren. Eine polizeiinterne Personenfahndung mit den Handybildern des Hauptzeugen führte schließlich zur Anklage gegen zwei Antifaschist*innen , denen Störung einer Versammlung, in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, versuchter Nötigung und gefährlicher Körperverletzung vorgeworfen wurde (7).

Der Elefant wird zur Maus

Vor Prozessbeginn

Am 20. Oktober blieb nach 5-stündiger Verhandlung von den Tatvorwürfen nicht viel übrig. Der Hauptbelastungszeuge mit den Handyfotos hatte bei seiner Vernehmung 2018 widersprüchliche Angaben gemacht. Zuerst beschrieb er den „Angreifer als langhaarig, mittelgroß und untersetzt und konnte ihn auf Fotos nicht identifizieren. Später war sich der Zeuge doch ganz sicher den Angeklagten – kurzhaarig, groß, schlank – auf den Bildern wieder zu erkennen (8)“. Befragen konnte ihn das Gericht nicht mehr, weil der Zeuge nach langer Krankheit kürzlich verstorben war. Auch der Leiter der polizeilichen Ermittlungen war krank und nicht ladungsfähig. Der zuerst geladene Zeuge, der eine junge Frau im Rahmen der Rangelei am Arm gepackt hatte, konnte keinen der beiden Angeklagten identifizieren. Die beteiligten Parteien einigten sich, dass die noch ausstehenden Zeug*innen nicht mehr zur weiteren Beweisfindung beitragen würden und verwarfen den angesetzten zweiten Prozesstag. „Schusswaffen“, „Messer“, „Holzlatte“, „Knalltrauma“ und eine „völlig neuen Qualität der Angriffe“ wurden zur Konfettikanone, einem handelsüblichen Partygerät mit Zulassung ab 12 Jahren. Von den vier Anklagepunkten blieb nur die „grobe Störung einer Versammlung“ übrig, welche seitens der Verteidigung angezweifelt wurde: Hätte die AfD nicht selbst ein solches Szenario aufgezogen, hätte sie ihre Veranstaltung mit leichter Verzögerung und etwas Konfetti im Saal durchaus durchführen können. Die Genoss*innen wurden zu einer Geldstrafe von 1200€ und 400€ unter Vorbehalt verurteilt. Wird ihnen keine Straftat innerhalb eines Jahres nachgewiesen, müssen sie nicht zahlen. Zusätzlich müssen sie eine Spende von je 300€ an eine Kinderschutzorganisation tätigen (9).

Eine legitime Form des Protests

Kundgebung vor dem Amtsgericht

Kundgebung vor dem Amtsgericht

Was teilweise lustig anmutet, ist bitter ernst. „Das Gewaltpotenzial der AfD hatten wir jedoch unterschätzt (10)“, schrieben die „Heilbronner Antifaschist*innen in ihrem Statement. TeilnehmerInnen der Veranstaltung reagierten mit Gewalt auf kreativen Protest und Partykracher. Die Organisierte Linke Heilbronn kritisierte damals in einer Pressemitteilung, dass es die AfD mit der Wahrheit nicht so genau nehme – das Verfahren gibt dem Recht. Dennoch übernahmen die Polizei und Teile der Presse das Gezeter der AfD vom „Anschlag“ und „Angriff“ auf ihre Veranstaltung. Der Staatsapparat fuhr seine wohlbekannte Kriminalisierungsschiene, die mit Einlasskontrolle, Durchsuchung und Mitschrift-Verbot für Nicht-Journalist*innen auch nicht vor dem Gerichtssaal halt machte. Durch unseren Aufruf zur Prozessbeobachtung, unsere Pressearbeit, die Kundgebung vor dem Prozess und die Solidaritäts-Party im Januar haben wir die Angeklagten unterstützt. Wir haben Öffentlichkeit geschaffen, den Falschmeldungen der AfD widersprochen und den Prozess als das benannt, was er in unseren Augen ist: Eine Kriminalisierung von kreativem und legitimem Protest mit einer Konfetti-Kanone und eine Kriminalisierung der antifaschistischen Bewegung.

 

(1) https://de.indymedia.org/node/22545
(2) https://www.echo24.de/heilbronn/attacke-afd-stadtgespraech-zeuge-schilderung-10008399.html
https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.afd-veranstaltung-in-heilbronn-vermummte-sprengen-afd-treffen-mit-konfetti-kanone.6e975e75-e372-4b45-aaf9-a030b50b05e8.html
(3) Prozessbeobachtung am 20.10.20
(4) https://www.stimme.de/polizei/heilbronn/Polizei-Grosseinsatz-Unbekannte-stoeren-AfD-Stammtisch-mit-Konfetti;art1491,4051248
(5) / (6) https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.afd-veranstaltung-in-heilbronn-vermummte-sprengen-afd-treffen-mit-konfetti-kanone.6e975e75-e372-4b45-aaf9-a030b50b05e8.html
(7) Prozessbeobachtung am 20.10.20
(8) https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.prozess-gegen-antifa-mitglieder-konfettiattacke-sprengt-afd-versammlung.b248419a-f320-4046-b04b-f0ba23a65e93.html?reduced=true
(9) Prozessbeobachtung am 20.10.20
(10) https://de.indymedia.org/node/22545

 

Redebeitrag auf der Kundgebung zum „Konfetti-Prozess“ am 20.10.2020, Amtsgericht Heilbronn

Liebe AntifaschistInnen,

wir kommen heute morgen hier zusammen, weil wir solidarisch sind mit den 2 Menschen, AntifaschistInnen, denen heute hier im HNer Amtsgericht der Prozess gemacht wird.

Eine Veranstaltung der AfD wurde mit Konfetti aus einer Kanone beworfen, also mit Papierschnipseln beregnet. An die Polizei wurde gemeldet, dass Schüsse gefallen seien. Dies hatte einen völlig überzogenen Polizeieinsatz zur Folge, mit spöttisch gesagt „Land- und Luftstreitkräften“.

Teilnehmer der AfD-veranstaltung waren sich auch nicht zu schade, auf den Partykracher mit sofortigem Angriff zu reagieren. Sie stürmten aus der Gaststätte und griffen die nächststehende Gegendemonstantin an. Dabei fiel einer von ihnen über die eigenen Füsse und kam zu Fall.

Mensch fragt sich, wie solche offensichtlichen ‚Knallerbsen‘ auf Luftschlangen und Stinkbomben reagieren. Sind das dann „Luftangriffe und Giftgasattacken“?.

Nur nochmal zur Einordnung: Mitglieder und Anhänger einer Partei, der in Teilen rechtsextremistische Bestrebungen von offiziellen Stellen bescheinigt werden, die offen biologisch-rassistische und migrationsfeindliche Positionen vertritt, die überholte Familienbilder glorifiziert , den Klimawandel leugnet und Andersdenkende und -lebende diskriminiert , reagieren mit Gewalt auf Gegendemonstrantinnen und Partykracher.

Was für einen sprichwörtlichen „Knall“ müssen eigentlich TeilnehmerInnen der Veranstaltung einer Partei haben, in der Positionen vertreten werden wie (aus: https://correctiv.org/faktencheck/politik/2020/02/05/)

„das Pack zurück nach Afrika prügeln, auf der Stelle erschiessen“ (/Dieter //Görnert : war seit Dezember 2018 //zweiter Kreisvorsitzender der AfD in Nürnberg https://www.afd-nuernberg.de/pressemitteilungen/ und kandidierte als AfD-Stadtrat, als die Öffentlichkeit Ende 2019 auf seine Posts aufmerksam wird. AfD teilt mit, dass Görnert wegen dieser Tweets Mitte Dezember 2019 vom Landesschiedsgericht Bayern aus der Partei ausgeschlossen worden sei.)

„Ich wünsche mir so sehr einen Bürgerkrieg und Millionen Tote. Frauen, Kinder. Mir egal. Es wäre so schön. Ich will auf Leichen pissen und auf Gräbern tanzen“ (Marcel Grauf, Mitarbeiter zweier AfD Landtagsabgeordneter aus Baden-Württemberg. https://oberlandesgericht-karlsruhe.justiz-bw.de/pb/,Lde/Startseite/Medien/Oberlandesgericht+Karlsruhe+erlaubt+Berichterstattung+ueber+rechtsextreme+Aeusserungen+eines+Mitarbeiters+zweier+AfD+Landtagsabgeordneter+in+Facebook-Chats/

und in der von „Menschen entsorgen (AfD-Bundestagsabgeordneten Petr Bystron https://www.bundestag.de/abgeordnete/biografien/B/518846-518846), aufräumen, ausmisten“ (Markus Frohnmaier, Bundestagsabgeordneter der AfD) bis hin zum nächsten sich lohnenden Holocaust (Marcel Grauf s.o.)schwadroniert wird.

Und eben solche vom „Knall“ befallenen fühlen sich von einem Partykracher angegriffen und beklagen ein Knalltrauma.

Die Polizei und Teile der Presse übernehmen das Gezeter der AfD vom „Angriff“ auf ihre Veranstaltung und der Staatsapparat fährt seine wohlbekannte Kriminalisierungsschiene auf. Und so kommt es heute zur Verhandlung gegen die 2 angeklagten AntifaschistInnen.

Wir sagen deshalb ganz deutlich: Die Protestaktion mitsamt der Konfetti-Kanone war ein kreativer und vor allem legitimer Protest.

Wir verstehen die Anklage als Kriminalisierung der antifaschistischen Bewegung.

Die Angeklagten haben unsere volle Solidarität.

 

Pressespiegel:

20/10/2020: SWR: Konfettikanonen gegen AfD – wegen grober Störung verurteilt

20/10/2020: Stuttgarter Nachrichten und Stuttgarter Zeitung: Konfettiattacke sprengt AfD-Versammlung

21/10/2020: Heilbronner Stimme: Attacke mit Konfettikanone: Zwei junge Angeklagte verurteilt

02/11/2020: Interview mit der Roten Hilfe Heilbronn in der Tageszeitung „Junge Welt“. Urteil in »Konfettiprozess«. »Wir wollten die Absurdität des Ganzen öffentlich machen«